Zu Beginn der dritten Märzwoche rattert der mit hochgetürmter Möbelfracht beladene LKW (Lastkraftwagen) der Barackenlichtung zu. Die arbeitenden Frauen, die auf die Ankunft des Transportes schon seit Tagen gewartet haben, lassen beim herannahenden Motorengeräusch die Arbeit ruhen und folgen ihrer Arbeitgeberin nach draussen, wo gerade der Fahrer aus dem heruntergelassenen Seitenfenster sich anschicken will, nach “Bröckelberger” zu fragen.
Lilia: Sie sind an der richtigen Adresse. Bleiben Sie hier gleich stehen, dann können wir sofort mit dem Ausladen beginnen.
Und ihre Angestellten ausser der Buckligen werden damit beschäftigt, die Möbelstücke entweder in den Bröckelberger oder in den Heitmannschen Barackenteil zu tragen. Letzteres geschieht jedoch seltener, worauf dessen Bewohnerin über die Ungerechtigkeit bitterlich empört ist und deswegen ihre die Verteilung vornehmende Schwägerin zur Rede stellt.
Heidrun: Liebe Lilia! Du hast doch schon eine Kommode, während ich hingegen jene sehr nötig hätte.
Lilia: Ich brauche sie für meine Pastell- und Ölfarben.
Heidrun: Aber du malst doch gar nicht mehr.
Lilia: Wer weiss? Eines Tages werde ich dazu auch wieder Musse finden.
Heidrun: Aber jenen weidengeflochtenen Schreibtischstuhl meiner Mutter kann ich doch wenigstens bekommen.
Lilia: Den braucht Hans Winfried zum Dichten. Wo er nur bleibt? Ich habe ihm schon vor zehn Tagen geschrieben, sofort zurückzukommen. Hat er vielleicht eine neue Geliebte?
Heidrun: Alles Gute behält sie für sich. Ich bekomme nur den Klumpatsch. Drei kaputte Stühle, einen zerkratzten Waschtisch und zwei löchrige Teppiche sind bisher mein ganzer Beuteschatz. Diese “rote” Hexe gönnt mir gar nichts. Wenn nur Hans Winfried hier wäre, der hätte gerecht verteilt. Gottseidank hat mir Vater ja geschrieben, dass ich das Ehebett bekomme. Dann brauchen wir vier nicht mehr auf dem Boden zu schlafen. Der Buffetschrank muss mir aber gehören! Du hast ja den von Gerda! Was willst du denn mit zweien?
Lilia: Das geht dich gar nichts an! Wir brauchen ihn, und damit basta!
Heidrun: Aber ihr fahrt doch bald nach Madagaskar? Ihr könnt ihn doch sowieso nicht mitnehmen, und ausserdem ist euer Schloss möbliert.
Lilia: Das Madagaskarprojekt hängt noch in der Luft. Wenn wir abreisen, kannst du ja unsere Möbel erstehen.
Heidrun: Die soll ich ihr wohl dann gar noch abkaufen? Diese Gaunerin! Ich sollte mir nichts gefallen Lassen. Ich werde Vater über sie und ihre Ungerechtigkeit schreiben.
Lilia: Nanu? Ich sehe nur das Ehebett der alten Bröckelbergers. Wo ist denn das von Gerdassgeblieben? Es war doch das beste Stück. “Sie, Herr Hammermacher!”, so wendet sie sich an den Transporteur, “dassfehlt doch ein Ehebett?”
Transporteur: Ich weiss nichts davon. Ich habe, wie angewiesen, alles aus der einen Scheunenecke aufgeladen. Das muss wohl schon dort “verstellt” oder “abgezweigt” (gestohlen) worden sein.
Lilia: Nun, dann werde ich das Bröckelberger Bett für uns behalten müssen. Bringt das Bett und die Matratzen in mein Schlafzimmer!
Heidrun: Nein, das Bett gehört mir! Vater hat es so geschrieben. “Liebe” Lilia - ich könnt’ ihr die Haare ausreissen -, es ist das Ehebett meiner Eltern, in welchem ich gezeugt wurde und in welchem ich meine Hochzeitsnacht verbringen durfte. Es bedeutet mir sehr viel.
Lilia: Nur keine romantischen Flausen. Du kannst ja unser Ehebett haben.
Heidrun: Diese Schweinekoje? Nein! Nimmermehr! Die heugestopften Matratzen stinken ja vor Fäulnis. Darin kann sie sich mit meinem Bruder weitersuhlen. Ich will mein verbrieftes Recht!
Lilia: Dein Recht?! dass ich nicht lache! Wer hat denn sein Leben darangesetzt und ist unter Gefahren über die Grenze gegangen und hat die Möbel geholt? Du oder ich? Ihr wart doch alle zu feige!
Heidrun: Dir ist ja nur deshalb nichts geschehen, weil du dich als “Spitzel” anheuern liessest.
Lilia: Was sagst du? Du wagst zu behaupten ... ? Nimm das sofort zurück!
Heidrun: Du bist eine Kommunistin und machst mit denen dass“drüben” gemeinsame Sache.
Lilia: Eine Unverschämtheit! Ist das dein Dank dafür, dass ich dir die Möbel vor die Tür bringen lasse und für den Transport auch noch alle Spesen bezahlt habe? Du Undankbare! Du Verleumderin! Du kriegst jetzt kein Stück mehr von den Möbeln!
Heidrun: Das werde ich Vater schreiben, du Aas (Liebeserklärung unter Geiern)!
Lilia: Du Hitlerhure!
Heidrun: Ich bringe dich um, du Kommunistenschwein!
Wolf: Was? Seid ihr wahnsinnig geworden? Ihr werdet euch doch nicht wegen den paar lumpigen Möbeln in die Haare kriegen? Auseinander!
Und während Rosa ihre vor Wut schnaubende Busenfreundin zu deren “aufgemöbelter” Behausung begleitet, ruft die “rote” Schwägerin letzterer noch nach: “Du bist ab sofort entlassen!”
Und der kalten Verstand bewahrende Wolf versucht seine Schwiegermutter wieder zu beruhigen: “Sie ist es nicht wert, dass du dich ihretwegen so aufregst. Nur keinen Stunk (aufwirbelnden Ärger).” Sonst holt man noch die Polizei herbei.
Und zu Lilias Arbeitsdamen, die inmitten der neidisch dem Abladen der Möbel zuschauenden Nachbarsleute stehen und gemeinsam das Spektakel mit Schrecken oder Ergötzen verfolgen, sagt er: “Es ist alles wieder gut! Nun zurück an die Arbeit!”
Lilia: Dieser Bröckelbergertochter würde ich am liebsten die Haare ausreissen.
Transporteur: Solche und weit schlimmere Raubvogelkämpfe habe ich schon öfter beim Möbelabladen vor Flüchtlingsbehausungen erlebt. Die Zeiten der Not haben so manche Hennen und Hähne in angriffslustige Geier verwandelt.